Silvesterfräsch, Heitere Geschichten aus dem Erzgebirge
Reiner PötzschDas irregluäre Tor
Als junger Kerl war ich ein ganz passabler Fußballer. Einige Male spielte ich in der Kreisauswahl und der Gebietsauswahl der „Wismut“. Zu meinem 15. Geburtstag standen die Verantwortlichen von Wismut Aue vor der Tür. Ich sollte zum damaligen Oberligaclub nach Aue kommen, in Aue die Oberschule besuchen und im dortigen Internat wohnen. Aber von zu Hause wollte ich nicht weg. Da ich für mein Alter relativ groß und kräftig war, natürlich auch gut durchtrainiert, erhielt ich mit 17 Jahren eine Sondergenehmigung und durfte in Männermannschaften mitspielen.
Das war für einen so jungen Hüpfer eine große Ehre. Dementsprechend gab ich mir immer große Mühe, rannte meinen Gegenspielern eins ums anders mal davon und erzielte manches Tor. Zu der Zeit trainierte uns der Leber Rudi. Er war Tormann der Oberligamannschaft aus Lauter und stand später einige Male im Tor der Nationalmannschaft der DDR.
Donnerstags abends fand das Training statt. Mehr als zwei Stunden hat uns der Rudi herumgejagt und brachte uns auch manchen faulen Trick bei.
Am nächsten Sonntag spielten wir gegen Crandorf auf dem Sportplatz in Markersbach (damals noch ein Hartplatz, eine richtige Schmirgelscheibe für die Knie). Die gelernten Tricks mussten natürlich ausprobiert werden. An diesem Tag sind mir gleich zwei gelungen.
Der Erste: Es gab Eckball für uns. Ich postierte mich neben dem Tormann. Als der Ball geflogen kam, hielt ich im richtigen Moment die Hose des Torwartes. Der griff nicht nach dem Ball, sondern beim Hochspringen nach seiner nach unten rutschenden Hose. Ich brauchte nur noch mit dem Kopf zu nicken und es stand 1:0 für uns! Der Schiedsrichter hatte nichts gesehen.
Der zweite Trick ist eigentlich nicht geeignet, erzählt, geschweige denn zur Nachahmung empfohlen zu werden. Der arme Kerl tut mir heute noch leid. Aber er hatte mich vorher mehrmals geärgert und ist nicht immer fair mit mir umgegangen.
Der Ball kam auf mich zu und ich stoppte ihn. Der Gegner kam auf mich zu gerannt und wollte den Ball wegschlagen. Schnell stellte ich den Fuß auf den Ball (eigentlich nichts Unerlaubtes), jedoch die Fußspitze über den Ball hinaus. Mit voller Wucht traf er zwar den Ball, aber auch mit voller Wucht meine Fußspitze. Das schmerzte bestimmt, denn er musste eine ganze Zeit behandelt werden und verletzt ausscheiden. Zu meinem Trost, er hat zugeschlagen, nicht ich!
So schön hat der Junge noch nie gespielt!
In der Dorfstraße in Markersbach wohnte eine ansehnliche Truppe von Jungen im gleichen Alter, und fast jeden Tag unternahmen wir gemeinsam etwas. Da wurde ausprobiert und mancher Blödsinn angestellt. Einmal hatten wir gehört, wenn man Bier mit einem Teelöffel zu sich nimmt, wird man schnell betrunken. Das musste ausprobiert werden.
An einem Sonntag ließen wir die Party beim Krauß Wolfgang steigen. Bier trinken waren wir alle nicht gewohnt. Ein bis zwei Flaschen waren für jeden von uns vorgesehen. Das war zu viel! Daran hat es wohl eher gelegen, als am Auslöffeln. Den Höcherl Lothar hatte es arg erwischt. Ich persönlich trank bereits zu dieser Zeit wie heute kein Bier und war ganz nüchtern geblieben.
Der Lothar und ich wohnten im gleichen Haus.
Wir anderen Jungs haben durchs Fenster beobachtet, wie er sich in sein Zimmer schlich. Seine Eltern sollten ja nichts merken. Im Zimmer angekommen, setzte sich der Lothar ans Harmonium und begann zu spielen. Er hatte in der letzten Zeit wenig gespielt, aber heute sollte es die Rettung sein. Die Liesel und der Erich wurden vom Spiel überrascht und sahen einmal nach. Dann sagte die Liesel zum Erich: „Erich, so schön hat unser Junge noch nie gespielt!“
Was sind Silvesterfräsch? Das erfährt, wer die Anekdoten von Reiner Pötzsch liest. Sie liefern wahre Begebenheiten aus dem Erzgebirge, geschehen in der Zeit zwischen den vierziger und neunziger Jahren. In ergebirgischer Mundart und hochdeutsch erzählt der Autor mit einem Augenzwinkern vom Leben auf dem Land, von Rindern, Pferden und Kaninchen, LPGn, Traktoren, Tälern und vor allem von den Menschen, die hier wohnen.