Es klopft. Erschrocken fährt Anna von ihrer Stopf-arbeit hoch. Die Mutter ist im Stall bei der Ziege. Sie mistet aus. Anna soll die Strümpfe stopfen und Mittagessen kochen. Luise muss am Nachmittag zu einer Toten.
Es klopft ein zweites Mal, und Anna ruft: „Herein!“, legt die Strümpfe beiseite und steht auf. Wer kann das sein, fragt sie sich, da steht der Lehrer schon in der Küche. Eilig knickst Anna, wird rot und sieht den Mann fragend an. Er schaut sich um. Reinlich ist es in dem kleinen Raum. Auf dem Herd kocht etwas. „Guten Tag, Anna.“ Befangen antwortet Anna: „Guten Tag, Herr Schullehrer.“ Ihr Herz flattert, der Magen krampft sich zusammen. Anna ist ängstlich zumute. Was will der Lehrer hier, warum kommt er? Habe ich was falsch gemacht? Zwar ist sie schon konfirmiert, doch das Schuljahr ist noch nicht zu Ende. Es kann noch allerhand geschehen.
„Ist deine Mutter zuhause?“ will der Lehrer wissen. „Jaja.“ Geschwind läuft Anna hinaus in den Stall. „Mutter! Der Lehrer ist da.“ Es klingt kläglich. Luise lässt den Besen fallen und sieht das Mädchen streng an: „Was will der? Hast du was ausgefressen?“ Die dunklen Augen flackern unruhig. „Ich weiß nicht, was er will.“ Luise reibt sich die Hände an der Schürze ab, schiebt das Kopftuch zurück, wirft Anna einen strafenden Blick zu und geht in die Küche. Da steht Lehrer Junghans, hält den Hut in der Hand und fühlt sich irgendwie überflüssig in dem kleinen Raum. Luise sieht ihn fragend an, wagt nicht, ihm die Hand zu reichen. „Guten Tag, Frau Heinemann.“ Leberecht Junghans strafft sich, wird sich in dem Moment bewusst, dass er als Amtsperson kommt. „Es geht um Anna. Ich komme soeben von Pfarrer Heinrich. Er…“ Hier stockt Junghans, weiß nicht gleich, soll er sagen … er bittet, er befiehlt, oder … Sagt: „Er erwartet, dass die Anna morgen früh um zehn bei ihm vorstellig wird.“ Ein Schreck durchfährt Luise. „Morgen früh um zehn? Ja, warum denn um Himmels willen? Hat sie was angestellt?“ „Nein, nein“, wehrt der Lehrer ab, „es ist nur, es geht darum, der Pfarrer will sie prüfen, ob sie nicht vielleicht eine gute Arbeit kriegen kann.“ Das sagt er hastig heraus und bereut es sofort. Denkt, mein Gott, was mach ich den Leuten für Hoffnung. Noch hat der Heinrich gar nichts zugesagt. Aber er merkt schon, dass Luise zögerlich ist, ihm wohl nicht recht glaubt. Sie fragt auch gleich: „Was wäre denn eine gute Arbeit? Zweimal Gänse hüten in der Woche bringt nicht viel ein, Herr Lehrer. Aber muss sie nicht noch in die Schule gehen?“ „Ja, ja, schon. Das Schuljahr ist fast um. Da wär’s schon gut, wenn man weiß, was danach wird.“ Luise zittert innerlich. Eine gute Arbeit für Anna. Das wär schon was. Doch rechtes Zutrauen hat sie nicht und sagt das auch. Anna steht dabei mit offenem Mund. Was wird der Pfarrer mich prüfen? Sie kramt in ihrem Gedächtnis, was sie gelernt hat. Mit weichen Knien setzt sie sich an den Tisch. Die Mutter geht mit Leberecht Junghans hinaus und sieht ihm nach, wie er die Dorfstraße hinuntergeht.
Pünktlich um zehn Uhr steht Anna vor der Tür des Pfarrhauses. Sie fühlt vor Aufregung Übelkeit aufsteigen. Hält sich für einen Moment am Türrahmen fest, bevor sie klopft. Sieht noch einmal prüfend an sich herab. Den dunklen Sonntagsrock hat sie angezogen. Er ist sauber, die Schnürstiefel glänzen. Wenn sie auch schon drücken, denn die sind von der Nachbarin Amalie geschenkt. Die Miederjacke ist am Ärmel geflickt, aber rein. Das Tuch, das sie auf den Kopf setzen wollte, hat sie in der Aufregung vergessen. Sie klopft schüchtern. Niemand öffnet. Noch einmal klopft sie, jetzt etwas heftiger. Die Frau des Pfarrers öffnet. „Anna? Was ist denn? Hast dich ja so rausgeputzt.“ „Ja, guten Tag, Frau Pfarrer. Ich sollte um zehn bei Herrn Pfarrer Heinrich sein, sagt der Schullehrer.“ Frau Heinrich weiß davon nichts. „So“, sagt sie, und ein leiser Zweifel ist herauszuhören, „sagt er das?“