August fingert nach dem kleinen Beutel mit Münzen in seinem Bündel.
Heimlich hat er Groschen für Groschen hineingelegt. Luise nichts davon erzählt. Überraschen hatte er sie wollen. Eines Tages, wenn sie gesagt haben würde, dass sie mit ihm geht, nach Amerika.
Wie anders ist es gekommen. Luise, sein Weib, das Liebchen des Barons. Und er, August Heinemann, beschimpft als Jude. Bitter kommt ihm der Gedanke daran auf.
Fort will er.
Es ist Mitternacht vorbei. Der Mond ist unter-gegangen, da bricht August auf. Niemand soll es merken. Er schleicht sich hinaus. Verflucht die knarrende Tür. Bleibt horchend stehen. Nichts rührt sich. Als er um die Hausecke biegt, steht dort Hilmar, sein ältester Sohn. Ein heiliger Schreck fährt dem Mann in die Glieder. „Junge, was machst du denn da?“ „Vater, ich gehe mit nach Amerika.“ Im Dunkeln kann August nur die starren Augen des Jungen sehen. „Woher weißt du? Das ist ein langer Weg, Junge“, versucht der Vater den Sohn aufzuhalten. Doch der hat vorgesorgt: „Mein Bündel habe ich dabei. Auch ein paar Groschen.“ „Wo hast du die her?“, fragt der Vater streng. Hilmar druckst herum, ehe er sagt: „Ein Handgeld vom Baron, weil ich die Pferde gehalten habe.“ „Der Baron! Der Baron!“, braust August auf. Ist schnell still. „Traust du dich, Hilmar?“ „Ja, Vater.“ „Bedenke, wir sind lange unter-wegs. Leicht wird es net. Wir werden Arbeit suchen müssen unterwegs, sonst reicht das Geld net.“ „Ich weiß.“ August reibt sich die Stirn. Noch überlegt er. Hilmar ist fünfzehn Jahre alt. Hat kein Legitimations-papier. Als Hilfsbursche für alles ist er auf dem Gut nur geduldet. Ihm fehlt ein Arbeitszeugnis. Minuten verstreichen. In Augusts Kopf dreht sich ein Mühlrad, er wägt ab. Hat sich das so nicht gedacht. Wie kommt der Jung’ drauf, dass ich fort will? Hat er am Ende gelauscht? Wird er den langen Marsch aushalten? Die Kehrseite, ich bin net allein. Muss Obacht geben auf den Kerl. Die Mutter wird es verwinden. Hat Trost in der Liebschaft.
Ein blasser lila Streifen am östlichen Horizont zeigt, dass die Sonne aufgeht.
August rafft sich auf. „Los geht’s!“ Er will keine Zeit mehr verlieren. Bei Tagesanbruch soll Jesuborn erreicht sein. Die Wegstrecke hat er sich genau bezeichnen lassen. Jetzt in der nächtlichen Kühle fällt ihm Marquardt, der Preuße, wieder ein und was er letztens der Schenke erzählt hat. Der wusste Bescheid. „Halt dich weg von den großen Wegen. Geh durch den Wald am Buchenberg. Wenn du an den Sorger Teichen vorbei bist, lässt du Jesuborn links liegen und gehst über das Flüsschen Wohlrose zum Gehrener Wolfgarten. Die Wohlrose kannst du durchwaten, ist nicht tief. Über Langewiesen gehst Du in Richtung Gotha. Ist ein Tages-marsch, wenn du es gescheit anstellst.“
Sie ziehen los. Hilmar hat nur seine Holzpantinen an den Füßen. Sie sind schwer und machen Krach. August dagegen ist wohl gerüstet. Die abgetragenen Stiefel des Gastwirts aus Aschau hat er sich erfochten und sie zurechtgeflickt. Munter trabt der Junge neben dem Vater her. Ihm ist wohl zumute. Nach Amerika wird er gehen, die weite Welt sehen und viel Geld verdienen. So träumt er in den heraufdämmernden Morgen. Den Schwestern hat er es verraten und ihnen eingebläut, ja mit keinem darüber zu reden.
Als die Vögel ihr Konzert beginnen, sind sie bereits an der Wohlrose angelangt. Es ist ein schmaler Fluss mit flachem Ufer, das von Erlen und Eschen gesäumt ist, die erste grüne Blätter zeigen. Tief ist das Wasser nicht, aber kalt. Hilmar watet als Erster durch. August zieht die Stiefel von den Füßen, wickelt sorgfältig die Fußlappen ab und folgt dem Jungen. Am anderen Ufer holt er eine Flasche aus dem Beutel und reicht sie Hilmar. „Hier trink! Wirst Kraft brauchen.“ Hilmar nimmt einen Schluck von dem Bier und schüttelt sich. „Brot gibt es nachher. Komm weiter.“