Schicke mir ein Stückchen Kamm!
Auf einer vergilbten Heftseite ist der Satz am rechten oberen Rand hastig hinzugefügt worden. Das Wort Kamm ist zweimal unterstrichen.
Die eigentliche Feldpostnachricht an meine Mutter ist eine grobe Skizze, mit der mein Vater seinen derzeitigen Standort dokumentiert. Im kurzen Text schreibt er, dass seine Division im Trommelfeuer der Russen südlich des Narew, nahe der Ortschaft Nuna und nordöstlich von Warschau steckt. Meint er im wahrsten Sinne des Wortes feststeckt? Bitterkalt muss es im sumpfigen Gelände der HKL, der Hauptkampflinie der Wehrmacht sein.
Erst im Oktober 1944 ist mein Vater von seinem Schreibtisch in der Kaserne der Garnisonsstadt Neuruppin an den Narew-Brückenkopf im damaligen Ostpreußen abkommandiert worden.
Es ist der 27. Dezember 1944, der 3. Weihnachtsfeiertag. Ein paar Stunden später, oder sind es wenige Minuten, wird seine Stellung von russischen Tieffliegern angegriffen.
Am 13. Januar 1945, zwei Tage vor meinem sechsten Geburtstag, erhält meine Mutter die Nachricht vom Tod ihres Mannes, des Unteroffiziers Hans Jurick, Erkennungsmarke 503-3/A.E.Abt.75.
In der Traueranzeige heißt es: Im blühenden Alter von sechsunddreißig Jahren hinterlässt er in unsagbarem Schmerz seine Witwe Ilse und die beiden Kinder Horst und Hannelore.
Ein halbes Jahrhundert lang weiß ich nichts vom regen Briefwechsel meiner Eltern gegen Ende des 2. Weltkrieges. Das verschnürte Bündel Feldpost hat meine Mutter in der hintersten Reihe ihres Bücherschrankes in einem Anatomieatlas verwahrt. Ich finde es im Sommer 1998 bei der Auflösung ihres Haushaltes, und ich frage mich, warum sie die letzten Lebenszeichen von ihrem Mann versteckt hat. Hegt sie Schuldgefühle oder befürchtet unangenehme Fragen von uns Kindern? Vielleicht. Die fürsorglichen, zärtlichen Worte ihres Männe sind ohnehin nicht für Dritte geschrieben.