Am frühen Abend des 8. Juni 1690, einem Donnerstag, sprach Magdalene Bertram das erste Mal seit elf Monaten mit ihrer Freundin Sybille. Sie trafen sich zufällig, als das Mädchen vor die Haustür ihres Onkels in die Märkerstraße trat, um das dreckige Wischwasser auszukippen. Magdalene holte Schwung und schüttete es in einem hohen Bogen quer über die Straße. Die glitzernden Tropfen standen für einen Augenblick als silberner Bogen in der Luft und erloschen auf dem Boden. Magdalene streckte sich, um den Rücken geradezubiegen, und stellte den Holzeimer neben sich ab. Sie schaute sich um. Der Tag musste herrlich gewesen sein, denn auf dem gepflasterten Mittelstreifen der Straße lag noch der warme Glanz der Abendsonne, deren letzte Strahlen gerade über das Dach der gegenüberliegenden Akademie lugten. Ein spätes Fuhrwerk ratterte über die Steine, der Kutscher knallte die Peitsche, um das Pferd in seinem müden Trott noch das kurze Stück bis zum halleschen Marktplatz zu bewegen. Ein paar Hunde stießen auf der Suche nach Abfall ihre Schnauzen in den Staub. Fußgänger strebten der Ulrichskirche zu, die zwei Gassen hinter dem Haus der Familie Bertram steil aus dem Häusermeer aufragte, gut gekleidete Bürger auf dem Weg zur Abendandacht. In der Luft wogte ein Rest der Sonnenwärme dieses Tages. Magdalene wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„He, Lene!“ Ihre Freundin Sybille näherte sich. Sie war einer der Menschen, die immer zu lachen schienen. Von ihren schweren Pflichten im Haus gegenüber, der Ritterakademie, wirkte sie kaum gedrückt. Sybilles Kleid strahlte hell, als wäre es nicht grob und für die Arbeit gemacht. Sie trug einen Gemüsekorb über dem Arm, darin schleppte sie drei schwere Kohlköpfe. Den Korb schwenkte sie, als wären es Wollknäuel, und rief: „Wie schön, dich wiederzusehen! Es sieht alles aus wie früher. An deiner Arbeit hat sich nichts geändert, oder? Lässt sie dich immer noch wischen?“
Magdalene seufzte. „Das dritte Mal diese Woche. Sie macht ein Drama um diesen Fußboden, dabei ist er nur da, um drauf rumzutrampeln.“
Sybille streifte die Haube ab, und ihre rotblonden Locken quollen über die Schultern. Sie strich darüber, schlang die leuchtende Flut um die Hand und stopfte sie unter das grob gewebte Leinen. „Man sagt, du hast ganz schön was hinter dir.“
Magdalene nickte ernst.
Die Freundin zog die Stirne kraus und fragte flüsternd: „Und was hast du erlebt? Erzähl!“
„Tut mir leid, darüber kann ich nicht reden.“ Magdalene verschränkte die Arme vor der Brust.
Sybille hob die Brauen: „Soso.“ Sie spitzte den Mund. „Ein Kind hast du gekriegt, sagen die Leute. Hast du nicht eine Menge Ärger? Haben sie dich nicht bestraft? Auf jeden Fall wirst du jetzt schnell verheiratet werden. Das ist Strafe genug.“
Ehe sie weitersprechen konnte, knarrte hinter den Mädchen die Haustür. „Lene, ab ins Haus“, stach Tante Dorotheas Stimme zwischen die beiden. Bedauernd zuckte Sybille die Schultern und beugte sich über ihren Korb. Magdalene wandte sich ihrem Zuhause zu.