Jakob schlug mit der Faust auf den Ladentisch. »Untersteht Euch, Lügen über mich zu verbreiten!« Sein sonst so blasses Gesicht war rot geworden. Er hielt die Fäuste so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervorstanden.
»Ich lüge nicht. Ihr seid ein Betrüger!«
»Das Ding könnt Ihr wegwerfen, es ist gefälscht.« Jakob Lichtenberg griff das Papier, das vor ihm lag, und warf es in die Luft. Es flog keine halbe Elle und segelte steil zu Boden, von wo der andere Mann es hastig aufsammelte. Er war ein kleiner, in einen Wollmantel gehüllter Mensch mit einem Dreispitz auf dem Kopf, und seine Nase stach genauso spitz aus dem Gesicht. »Das werdet Ihr büßen! Ihr habt Euch hundert Taler erschlichen und glaubt, damit so einfach davonzukommen. Aber das wird Euch nicht gelingen. Ich werde Euch verklagen.«
Gepresst antwortete Jakob: »Es ist ein Irrtum, glaubt mir.«
»Ist es nicht. Heute ist der 18. Oktober 1704, da steht es, heute ist der Wechsel fällig.«
Jakob öffnete seine Fäuste. »Guter Mann, denkt nach. Warum sollte ich einen Wechsel zeichnen? Ich bin doch kein Bankhaus.«
»Der, der den Wechsel von Euch gezeichnet bekommen hat, hat sein gutes Geld dafür gegeben. Der hat Euch vertraut.«
»Ich sage noch einmal, ich habe keine hundert Taler von irgendjemandem bekommen, schon gar nicht gegen einen Wechsel.«
»Wie ist dann Eure Unterschrift darauf gekommen? Und Euer Siegel?«
»Das ist nicht meine Unterschrift, das ist die meiner Frau. Und das Siegel ist das alte, das von ihrem verstorbenen Mann.«
»Es ist gültig, ich habe mich erkundigt. Dann hat eben Eure Frau die hundert Taler gekriegt. Ist nicht mein Problem, wenn Ihr die Zucht in der Ehe nicht einhalten könnt.«
»Meine Frau hat bestimmt keinen Wechsel gezeichnet und gesiegelt.«
»Das Geld her oder ich verklage Euch.«
»Zum letzten Mal: Nein. Ihr kriegt kein Geld von mir.«
Der Mann mit der spitzen Nase drückte das Papier an seine Brust. »Dann muss das Gericht entscheiden. Ihr werdet schon sehen, was Ihr davon habt.«
Er drehte sich um, riss die Ladentür auf und schlug sie von draußen zu, so heftig, dass die Glocke über der Tür schepperte. Jakob Lichtenberg blieb einen Moment reglos hinter seinem Ladentisch stehen, dann ging er hinterher und drehte den Schlüssel in der Tür herum. Mit dem Rücken zur Tür blieb er stehen und atmete aus. Er versuchte, sein heftig klopfendes Herz zu beruhigen. Sein Blick fiel auf die Regale, mit denen jedes freie Stück Wand in diesem Laden vollgestellt war. Den Wert von Zimt, Mahoniwurz, Galgant, Bergamottepulver, Verniß, Muskatenöl, Seife und Bleichmittel, Tinte aus arabischem Gummi, Riechsalz für die Damen, Parfümen und all den anderen wunderbaren Dingen konnte er auf den ersten Blick erkennen. Er fragte sich manchmal, warum andere nicht sahen, was er sah. Für andere waren es Handelsgüter oder ein Material, das sie für ihr Gewerk brauchten wie die Maler, die damit ihre Farben anrührten oder ein Gewürz, das die Köche in ihre Speisen taten. Sie kauften, was sie brauchten, aber niemals atmeten sie, wenn sie hereinkamen, so tief ein wie er, niemals fühlten sie, wie einem das Herz aufgehen konnte, wenn sie die Vielfalt der Körbe und Flaschen sahen.
Jakob musterte ein Regal nach dem anderen, vollgestellt mit Körben, Kisten und Kästchen, Flaschen und Kannen. In diesem Laden war es ihm immer gut gegangen, aber das war nur eine scheinbare Sicherheit. Es konnte passieren, dass sein gutes Leben mit einem Schlag zu Ende war. Schon immer fürchtete er diesen Tag, und spätestens seit er herausgefunden hatte, dass er anders war als die anderen, wusste er, dass der Tag kommen würde. War es dieser?