Es ist früh am Tag. Und doch wimmelt es bereits von Neugierigen auf dem großen Gelände, wo die Händler und Trödler ihre Schätze aufbauen. Die Sonne steht noch hinter den Bäumen. Eine angenehme, frische Brise fächelt unter Planen, Schirme und Zelte. Wie in einem überdimensionalen Bienenstock summen die Stimmen durcheinander. Hier und da ein Gepolter. Klirren von Glas. Flüche und Gelächter.
Lotte hat Tom, ihren Freund, mit dem sie seit zwei Jahren zusammenlebt, lange überreden müssen, heute mit ihr zum Trödelmarkt zu gehen. Ihre Neugier erschließt sich dem 28-Jährigen mit den weißblonden Haaren und den Sommersprossen auf der Nase nicht. „Was suchst du dort? Willst du was kaufen?“ „Ach nur so. Mal gucken, was andere Leute so ausrangieren. Macht doch Spaß.“ Das bezweifelt er. Lotte setzt ihren Kopf durch. Um acht Uhr stehen beide am ersten Stand. Der Händler baut noch auf. Hat ein Auge auf die jungen Leute. Interessiert betrachtet sie die vergoldeten Löffelchen mit den Bildern von Hildegard Hummel. „Guck, Tom, wie hübsch.“ „Komm doch, es ist erst der erste Stand.“ Lotte lässt sich weiterziehen. Dreht den Kopf noch einmal sehnsüchtig nach den kleinen Löffeln. Auf einem langen Tisch glitzert Kristall in der Sonne. Gläser, Vasen, Schalen mit und ohne Deckel. Tom ruft ungeduldig: „Mach doch, es gibt noch mehr zu sehen.“ Ja, es gibt viel zu sehen. Ein Stand mit Messingleuchtern: große, kleine, runde, bauchige. Beim Händler mit alten gebrauchten Kabeln bleibt er stehen. Durchwühlt die Kisten und Kartons. Zieht begeistert ein Kabel heraus, dass ihm für den Computer geeignet scheint. Gelangweilt steht Lotte daneben. Das interessiert sie nicht. Weil Tom nicht fertig wird, schlendert sie weiter. Ärgert sich. Erst will er nicht mit und dann kramt er ewig in dem Kabelsalat. Unter einem Baldachin, etwas im Hintergrund, steht auf einem kleinen Podest ein altes Sofa. Lottes Blick bleibt daran hängen. Es ist moosgrün, hat einen dunkelbraunen Rahmen mit Schnitzereien und dick gepolsterte Lehnen. Die Füße sind geschnitzt und muten an wie Tierkrallen. Lotte ist fasziniert. Sie sieht den Händler an, der scheinbar teilnahmslos, die Beine übereinandergeschlagen, in einem alten Sessel fläzt. Aus halbgeschlossenen Augen beobachtet er die junge Frau. Wie ihre Augen das Möbelstück abschätzen, wie sie den Kopf dreht, um es von der Seite zu sehen. Jetzt gibt sie sich einen Ruck, drängt zwischen Ausstellungstisch, Kisten und Kästen hindurch zu diesem Sofa hin. Ihr Blick streift ihn kurz. Er ignoriert ihn. Als sie davorsteht, streicht sie mit einer Hand über die Sitzfläche. Es staubt leicht. Fühlt sich samtig an. Die Schnitzereien sind glatt und warm. In den Vertiefungen hat sich Staub angesammelt. Lotte wischt ihn weg. Kleine Rosetten sind es und ohne Staub zeigen sie Farbe. Zartes Grün und Rosa. Im Kopfteil des Rahmens ist eine Platte aus Emaille mit einem Blumenbildchen eingelassen. Lotte kann der Versuchung nicht widerstehen und setzt sich auf das Möbelstück. Es knarrt leise und die Federn geben leicht nach. Sie schließt die Augen, lehnt sich zurück und träumt sich in vergangene Zeiten. Sieht sich in einem langen, hochgeschlossenen Kleid mit schmaler Taille und weit ausladenden Puffärmeln. Auf dem Kopf einen großen, weißen Hut, geschmückt mit Federn und Blumen. Die Füße stecken in weichen, seidenen Schuhen. Sie meint, das Sofa flüstere ihr leise etwas zu.
Toms empörte Stimme reißt sie aus ihrer Träumerei in die Gegenwart. „Lotte? Lotte! Sag mal? Ich suche dich überall. Was treibst du da? Kannst dich doch nicht so einfach dort hinsetzen!“ Er klingt, als spräche er mit einer Minderjährigen. Dabei sieht er Beifall heischend den Händler an. Der dreht sich phlegmatisch um, grinst Lotte an und meint: „Sitzt sich gut, was?“ Sie fühlt sich ertappt, wird rot und springt vom Sofa. „Ja, sehr gut“, lächelt sie den Händler an. Der sieht das Glitzern in den Augen der jungen Frau. Ein Leuchten der Begehrlichkeit. Er wartet auf ihre Frage nach dem Preis. Doch ihr Freund, Mann, Begleiter, wer er auch immer ist, zieht sie fort. „Wie kannst du mich vor allen Leuten behandeln wie ein kleines Kind, Tom?“, empört sie sich. „Bist du mein Vater?“ Im Streit gehen die beiden davon.