Der Richter, ein gutmütig aussehender Mann mit roter Knollennase, studiert das Dokument, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Die Enden seines grauen Schnurrbarts sind exakt nach oben gezwirbelt. Der Kragen des Talars scheint eng zu sein, denn er fährt mit zwei Fingern dazwischen. Jetzt mustert er Hilmar, der auf der Anklagebank sitzt, über den Brillenrand hinweg und räuspert sich.
„Angeklagter, erheben Sie sich. Nennen Sie Ihren Namen, Geburtsdatum und Geburtsort!“
Hilmar steht auf. Das Herz klopft ihm bis zum Hals. Die Narbe auf der linken Wange ist bei der Schlägerei in der Kneipe aufgeplatzt. Jetzt ist sie verkrustet und schmerzt, wenn er den Mund bewegt. „Mein Name ist Hilmar Heinemann, geboren am 15. Heumond 1877 in Aschau.“ Der Richter lächelt nachsichtig und fragt: „Was meint er mit Heumond? Der Begriff ist heutzutage nicht mehr gebräuchlich. Sagen Sie in Zukunft Julei.“ Hilmar nickt. Denkt, wenn’s so sein soll.
„Die Eltern?“, fragt der Richter weiter. „Meine Mutter heißt Auguste Luise Heinemann. Sie ist eine geborene Heiter. Mein Vater ist der August Heinemann.“ „Wohnsitz der Eltern?“ „Aschau.“ „Aschau? Wo findet man denn das auf der Landkarte?“, hakt der Richter nach.
„In Thüringen. Dort gibt es…“ Hilmar will erzählen, wie es dort aussieht. „Ja, ja, genug. Und Sie? Wo ist Ihr Wohnsitz?“ „Auch Aschau. Aber wir wollen nach Amerika, der Vater und ich. Die Fahrkarten haben wir schon.“ „Das tut hier nichts zur Sache. Hilmar Heine-mann, Sie sind angeklagt wegen Betrugs mit gezinkten Karten. Der Tatbestand: In einer Kneipe in der Innenstadt Bremens haben Sie durch Ihre Verhaltensweise, nämlich durch Verwendung von gekennzeichneten Karten, versucht, andere, in dem Falle drei Menschen, durch Tücke zu bewegen, sich selbst und ihr Vermögen zu Gunsten des Täters, in dem Falle, zu Ihren Gunsten, zu schädigen. Ist das richtig?“ „Ja, aber ich wollt…“ Er soll nicht weiterreden, sondern nur beantworten, wer ihm das Kartenspiel beigebracht habe. Umständlich beginnt Hilmar die Geschichte mit Morani zu schildern, die in Gotha auf dem Markt anfing. Dass er auf den Märkten für Morani spielte. Es ihm, Hilmar, gefallen habe und er nicht mehr damit aufhören konnte. Auch will der Richter wissen, mit welchem Vorsatz Hilmar in die Kneipe gegangen sei. Ob er Leute zum Spielen gesucht habe? „Ja, so war es“, bestätigt Hilmar. „Sie trugen bei Ihrer Festnahme sehr viel Geld bei sich, an die 500 Reichsmark. Woher stammt das Geld?“
Hilmar wird rot. Die Narbe klopft. „Das Geld habe ich gefunden.“ Ein ungläubiges Raunen geht durch den Gerichts-saal. Mit einem Hammerschlag verschafft sich der Richter Ruhe. „So, gefunden? Erzählen Sie uns mal, wie und wo man so viel Geld findet!“ Hilmar beginnt: „Herr Richter, ich weiß, es war unrecht. Ich hätte es melden müssen. Ein vornehmer Herr hat seine Börse verloren und es nicht bemerkt. Aufgehoben habe ich sie, wollte sie ihm geben, aber er war mit seiner Kutsche schon auf und davon. Als ich in das Haus mit den goldenen Säulen eintreten wollte, um die Börse abzugeben, haben sie mich davongejagt. Weil ich nicht wusste, was ich machen soll, habe ich die Börse behalten.“ Dreimal noch beteuert er, dass es so und nicht anders gewesen sei. Der Richter glaubt ihm nicht.