Sie ritten am Ufer der Enns flussaufwärts. Unbarmherzig trieb Odo sein Pferd voran. Er durfte sich nicht zurückfallen lassen. Denn das würde seinen Herrn noch mehr verärgern. So versuchte er, das schnelle Tempo zu halten, das dieser ihnen vorgab.
Mit dem einen Auge, welches ihm nach Jahren des Krieges geblieben war, blickte Odo nach vorne zu seinem Herrn, der an der Spitze ihrer fünfköpfigen Gruppe ritt. Außer den verschwitzten Haaren, die dem Edelmann in zotteligen Strähnen bis zu den Schultern hingen, konnte er von seinem Herrn nicht viel erkennen. Doch dessen Wut und Bedürfnis nach einer Entladung spürte Odo wie ein Damoklesschwert über ihm und den anderen Rittern schweben. Schon seit dem Vormittag schwante ihm die dunkle Vorahnung, dass heute noch etwas Abscheuliches geschehen mochte.
Unaufhörlich rammte ihr Anführer seinem Hengst die Fersen in die Seiten. Bei jedem Schritt, den die Pferde voranhasteten, spritzte der Matsch in alle Richtungen. Ständig stolperte eines der Tiere oder rutschte im Morast aus, der sich nach tagelangem Regen auf den Straßen und Wegen gebildet hatte. Nur Narren wie sie wagten sich bei diesem Wetter in solch einer Geschwindigkeit auf die Straße.
Als sie um die letzte Kurve bogen und sich endlich die langersehnte Aussicht auf die Burg auftat, galoppierte der Edelmann los. Odo wechselte einen kurzen Blick mit Heinrich, der neben ihm ritt, bevor auch sie beide lospreschten, gefolgt von Ulrich und Eberhard. Die vier kannten ihren Herrn schon lange und ahnten daher, was jetzt kommen würde.
Vor ihnen erstreckte sich das Dorf unterhalb des imposanten Felsens, auf dem die Burg thronte. Hier wohnten einfache Bauern und ein paar wenige Handwerker rund um die Kirche herum. In regelmäßigen Abständen ließ sich der Edelmann neue Ideen einfallen, wie er jenen Dörflern unmissverständlich zeigen konnte, dass sie seine Hörigen waren und er sämtliche Macht über sie besaß. Vor allem heute, wo sich ihr Herr in einer solch miserablen Laune befand, standen die Chancen gut, dass er im Dorf ordentlich aufmischen würde.
Als die Dorfbewohner die Ritter hergaloppieren sahen, schnappten die Frauen ihre Kinder und rissen sie mit sich zu den armseligen strohgedeckten Häusern. Auch die Männer und jungen Burschen schauten, dass sie sich am Rande des kleinen Dorfplatzes in Sicherheit brachten, und neigten dann demütig ihre Häupter. Hühner stoben im letzten Moment gackernd auseinander, gerade noch rechtzeitig, bevor die schweren, mit Eisen beschlagenen Hufe der riesigen Schlachtrösser auf dem morastigen Boden aufschlugen.
Der rasante Galopp weilte nur für kurze Dauer. Kaum hatten die Reiter das Dorf hinter sich gelassen, verließen sie den Hauptweg auf einen breiten Pfad, der um den Burgfelsen herumführte. Erleichtert darüber, dass der Herr die Dörfler diesmal weitestgehend in Frieden gelassen hatte, atmete Odo auf. Er hatte Schlimmeres befürchtet. Die Tiere verfielen in einen leichten Trab. Ihr Fell war schweißdurchtränkt, vor den Mäulern hatte sich Schaum gebildet. Kein Wunder. Denn ebenso wie ihre Reiter hatten auch die Pferde in den letzten Tagen und Wochen kaum Ruhe gefunden.
Unter der Führung von Přemysl Ottokar, dem Herzog von Österreich, hatten die Ritter in der Steiermark zum wiederholten Male gegen die Truppen des ungarischen Königs Béla IV. gekämpft. Sie hatten in Zelten geschlafen, waren Tag für Tag im Regen geritten, teilweise lange Strecken, sodass sich ihre Körper nass und ausgekühlt anfühlten. Dazu ließen die Mahlzeiten zu wünschen übrig: Hafergrütze, Roggengrütze und nur selten ein richtiges Stück Fleisch.
Odos Dienstherr hatte sich hohe Erfolgschancen bei Herzog Ottokar erhofft, nachdem er diesen bei seinen Kämpfen so tapfer unterstützt hatte – ein weiteres Lehen oder irgendeine andere Art der Anerkennung. Doch als der Edelmann heute Morgen auf den ersehnten Boten getroffen war, hatte dieser ihm ausrichten lassen, der Herzog erwarte ihn am Tag von Peter und Paul, dem 29. Juni, in Wien, um ihn von dort für weitere Unternehmungen einzuplanen. Nachdem Herzog Ottokar ihm in der Vergangenheit aber immer wieder Andeutungen gemacht hatte, ihn in absehbarer Zeit mit einem weiteren Lehen für seine Treue zu belohnen, fühlte er sich jetzt hingehalten. Und das verärgerte den Edelmann.
Sie ritten den schmalen Weg rund um den felsigen Berg empor, bis sich das massive Eichentor vor ihnen auftat.
»Willkommen auf der Burg, Herr«, sagte Jost, einer der Wachmänner, und trat zur Seite, um den Reitern Platz zu machen.
Als der Edelmann nichts antwortete bis auf ein freudloses Grunzen, musterten ihn seine Männer am Tor in gespannter Erwartung. Wer erkannt hatte, in welcher Laune sich der Herr gerade befand, tat sich leichter im weiteren Umgang mit ihm. Eine Bemerkung zu viel konnte unter Umständen einen Zahn oder ein blaues Auge kosten. An Tagen, an denen der Burgherr sich aber in ausgelassener Gemütslage befand, war man hingegen gut daran bedacht, sich in dieser Stimmung mitzuwiegen. Für einen Witz im richtigen Moment konnte er einen reich belohnen.
Beim Pferdestall angekommen, wussten die vier Ritter, dass sie sich jetzt Zeit lassen durften. Einmal in der Burg, brauchte der Herr Ruhe. Erst wenn genügend Zeit vergangen war, dass er seine Halle und die Privatgemächer inspizieren und anschließend ein paar Gläser Wein trinken konnte, war es Zeit für seine Männer, ihm wieder Gesellschaft zu leisten.