Es wird Schnee geben. Erhard, der 90-jährige Bauer, schaut nach den grauen Wolken auf. Der Tag nach den Weihnachtsfeiertagen macht ihn wehmütig.
Am Heiligen Abend waren die Kinder mit den Enkeln da gewesen. Vor der Bescherung hatten sie Kartoffelsalat und Bratwürste gegessen. Dann wurden gemeinsam ein paar Weihnachtslieder gesungen. Die Kleinen stürzten sich auf die Geschenke und nach einem Glas Sekt waren sie wieder davongefahren.
Erhard streicht sich seinen Schnurrbart glatt. „Ich guck mal nach dem Rechten!“ ruft er seiner Frau Thea zu, bekommt aber keine Antwort.
Grummelnd steigt er mit steifen Knien die Treppe neben dem Haus zur Scheune hinab. Seine zerbeulte, ehemals dunkelbraune Manchesterhose halten breite Hosenträger. Über dem karierten Hemd trägt er eine Lammfellweste, die so alt wie Methusalem zu sein scheint. Die Treppe mit ihren steilen Stufen macht ihm Beschwerden. Insgeheim hadert er mit sich. Lange schon hatten die Kinder ihm ans Herz gelegt, den Hof aufzugeben. Trotzig hatte er abgewinkt.
Das Scheunentor ist nur angelehnt. Erhard flucht: „Verdammtes Weibervolk!“ und meint damit Thea und auch wieder nicht.
In der Scheune muss er sich erst an das schummerige Licht gewöhnen. Rechts, weiß er, hängen die Geräte: Sensen, Rechen, Heu- und Mistgabeln, Hacken und Karste. Daneben Hämmer in allen Größen bis zum Vorschlaghammer. In der Ecke stehen drei Schneeschieber und ein Eimer mit Sand/Salz-Gemisch für den Fall, dass es Glatteis gibt. Erhard prüft die Stiele der Schneeschieber und befindet sie in Ordnung. Man weiß ja nie. Er nickt zufrieden und setzt sich auf einen alten Schemel. Irgendwann einmal hat er den hierhergestellt und ihn aus Bequemlichkeit nicht wieder weggeräumt.
Thea ist dankbar dafür. Wenn sie der Rücken plagt, ruht sie sich darauf aus.
Eigentlich führen sie gar keine richtige Landwirtschaft mehr. Ein paar Hühner, sechs Karnickel, das ist alles. Heu macht Erhard auf der kleinen Wiese hinter dem Haus. Das genügt und Stroh hat er noch genug aus vergangenen Jahren. Mit einem Blick schätzt er seine Vorräte ab und brummt zufrieden.
Sein Blick fällt auf ein vergilbtes Foto an einem Balken. Thea hatte es vor vielen Jahren dort an einen Haken gehängt mit der Bemerkung: „Damit du es nie vergisst!“ und dabei gelacht. Was sie gemeint hatte, was er nicht vergessen sollte, wusste er bis heute nicht so richtig.
Auf dem Foto ist eine Gruppe junger Männer zu sehen und in ihrer Mitte ein Strohbär.
Erhard schmunzelt. Ja, die Geschichte mit dem Strohbären wird er wirklich sein Leben lang nicht vergessen.